Der Spinoza-Effekt: Wie Gefühle unser Leben bestimmen
Kartoniert € 9,95 [D], € 10,30 [A], sFr 18,90
ISBN-10: 3548604943
ISBN-13: 9783548604947
Nach Damasio sind alle lebenden Organismen von Geburt an, mit Mechanismen ausgestattet, die dazu bestimmt sind, die Grundprobleme des Lebens automatisch, ohne Denkprozesse im eigentlichen Sinne, zu lösen. Allerdings habe ich die im Klappentext getroffene Feststellung: "Der Spinoza-Effekt ist zudem ein Appell an uns, unseren emotioalen Instinkten und körperlichen Signalen auch in scheinbar vom Verstand gesteuerten Situationen zu vertrauen", in Damasios Buch nicht gefunden.
Wer das Buch gründlich liest, muß feststellen, das vieles, was Damasio so lebendig schildert nach wie vor "graue" Theorie ist. Damasio et. al. konnten zwar an Probanden mit Hirnschädigungen zeigen, welche bedeutsame Rolle Gefühle und Emotionen in der (rationalen!) Entscheidungsfindung spielen. Dieser Aspekt zieht sich durch seine Bücher. Im Buch "Spinoza-Effekt" entwickelt Damasio eine eigene Theorie darüber, in welcher Form Emotionen und Gefühle in unserem Gehirn "organisiert" sein könnten.
Dem aufmerksamen Leser entgeht nicht, das Damasio sich der Grenzen der Erforschbarkeit von Gefühlen und Emotionen durchaus bewusst ist:Zitat Kapitel 1, S. 11:
"Von allen beschreibbaren geistigen Phänomenen entziehen sich Gefühle und ihre wichtigsten Varianten - Schmerz und Lust -bislang dem Verständnis der Biologie und speziell der Neurobiologie am hartnäckigsten."Insoweit bezeichnet er den Inhalt als "Zwischenbericht über die Fortschritte der Forschung". Ihm geht es darum, zu beschreiben, was Gefühle sind und was sie bewirken.
Damit überschreitet er automatisch die Grenzen der reinen naturwissenschaftlichen Forschung und so sieht sich Damasio mit seiner eigenen "Theorie der Gefühle und Emotionen" am besten in der Gedankenwelt des Philosophen "Spinoza" gespiegelt.
Die neurowissenschaftliche Quintessenz findet sich meines Erachtens in folgenden Passagen:
(Zitat S. 76, 77 ):
"Emotional besetzte Reize werden sehr rasch entdeckt, noch bevor die selektive Aufmerksamkeit sie erfasst, wie eine eindrucksvolle Entdeckung zeigt: Wenn Schädigungen des Okzipital- oder Parietallappens einen Gesichtsfeldausfall hervorrufen [..], "durchbrechen" emotional besetzte Reize [..] die Barriere der Blindhheit oder des Neglects und werden wahrgenommen. Der auslösende emotionale Apparat erfasst diese reize, weil sie die noralen Verarbeitungskanäle umgehen n- Kanäle, die normalerweise zu konitiven Einschätzungen führen würden, wäre da nicht die Blindheit oder das Neglect-Syndrom. Der Wert dieses biologischen "Bypasses" liegt auf der Hand: Egal, ob wir aufmerksam sind oder nicht, erfassen wir emotional besetzte Reize. Anschließend haben wir die Möglichkeit, unsere Aufmerksamkeit und Gedanken auf diese Reize zu richten. ...[........]........ (S.77): Meine Kollegen Antoine Bechara, Hanna Damasio, Daniel Tanel und ich haben gezeigt, dass eine Schädigung des Frontallappens die Fähigkeit zu emotionalen Reaktionen einschränkt, wenn der emotional besetzte Reiz sozialer Natur ist und wenn die angemessene Reaktion eine soziale Emotion wie Verlegenheit, Schuldgefühl oder Verzweiflung ist. Beeinträchtigungen dieser Art wirken sich nachteilig auf das soziale Verhalten aus." (Zitat Ende)Damasio fügt auf den folgenden Seiten noch einige neurowissenschaftliche Befunde hinzu. Immer sind es Befunde aus Einzelfallstudien, deren wissenschaftlicher Wert, wie Damasio selbst betont!, immer begrenzt ist. Wie diese einzuordenen sind, sagt er S. 90 letzter Absatz+ S. 91 oben:
"In der Regel dienen die Befunde als Ausgangspunkt für neue Hypothesen und Forschungen und nicht als Schlusspunkt einer Untersuchung. Trotzdem sind in diesem Falle die Daten sehr wertvoll. Sie sprechen für die Annahme, dass sich der Prozess von Emotionen und Gefühlen in seine Bestandteile zerlegen lässt. Außerdem stützen sie eine Grundthese der kognitiven Neurowissenschaft: Jede komplexe mentale Funktion erwächst aus dem Zusammenwirken vieler Gehirnregionen auf verschiedenen Ebenen des Zentralnervensystems, und nicht aus der Aktivität einer einzelnen Region im phrenologischen Sinne." (Hervorhebung von mir)Seite 230 ff. verdeutlicht Damasio noch einmal, wie seine Ausführungen zu werten sind. Er weist darauf hin, dass seine Ausführungen einem "augenblicklichen" Verständnis der Dinge entstammen und sich ggf. durch neue Erkenntnisse sogar grundlegend ändern können. Seine vorgelegten Hypothesen zur Frage der Gefühle und Emotionen sieht er nicht als endgültige Erklärung.
Insoweit ist die Bezugnahme auf Damasios Hypothesen z.B. für wissenschaftliche Arbeiten oder zur Begründung neuer psychotherapeutischer Vorgehensweisen deutlich verfrüht. Für Vertreter der philosophischen Disziplin stellt Damasio sicherlich eine interessante Herausforderung dar und bietet erweiterte Diskussionsgrundlagen für die Teildisziplin der "Neurophilosophie". Prof. Dr. Wolfgang Lenzen (Universität Osnabrück) hat sich mit einem ausführlichen Essay der "Philosophie" Damasios gewidmet.
FAZIT:
Antonio Damasio wird vielfach fehlinterpretiert, wenn seine Hypothesen darüber "wie Gefühle unser Leben bestimmen" als unmittelbares Ergebnis seiner neurowissenschaftlichen Forschungsvorhaben an neurologischen Patienten gewertet werden. Damit wird man Damasio nicht gerecht, denn er erweist sich als durchaus kritischer und reflexiver Wissenschaftler, welcher seinen Standpunkt argumentativ und interpretativ vermittelt, diesen aber nie verabsolutiert. Ein spannendes, unterhhaltsam geschriebenes Buch mit einem interdisziplinären Ansatz, welcher weit über das hinaus geht, was Singer und Roth an "philosophischen Basisannahmen" zu bieten haben.
Weitere Rezensionen:
Rezension Siebert: hier
Diplom Psychologin Dr. Miriam Spering: hier
Diplom Soziologe Dr. Frank Ufen: hier
im Online-Kulturmagazin Perlentaucher: hier
Anmerkung:
Unsere individuell unterschiedliche selektive Wahrnehmung lässt aus einem Buch doch immer wieder Verschiedenes "heraus lesen", wie man dies unschwer an den Rezensionen erkennen kann ;-))
1 Kommentar:
Schöner Beitrag zu Damasio, der wichtige Aspekte nennt, zum einen wie wichtig Emotionen sind, wie schwer aber auch ihre Erforschung ist. Für die Kognitionswissenschaft sind sie von zunehmender Brisanz.
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