Donnerstag, 10. April 2008

Wie vermeidet unser Gehirn Fehler? Bestätigt die Hirnforschung ein fast vergessenes kybernetisches Lernmodell?

Auch wenn ich an dieser Stelle nicht die Titelstory des aktuellen Gehirn&Geist -Heftes (Nr.4/2008) behandle und damit magisch Leser anziehe (Sex ist ja immer ein Thema, welches unser Aufmerksamkeitszentrum im Gehirn mobilisiert) so bleibt es für den neurowissenschaftlich interessierten Leser nicht minder spannend.. ...

Im aktuellen Gehirn&Geist wird nämlich berichtet, wie unser Gehirn arbeitet, wenn es Fehler erkennt und dass im Prinzip Irrtümer die Wegbereiter für neue Erkenntnisse sind.

Die Forschung, ihre Ergebnisse und Interpretation(en) ist eine Frage des Zeitgeistes und leider oft nicht eine Frage der vorhandenen Forschungsergebnisse. So fördert jede neue Forschungsstrategie, in diesem Falle die Neurowissenschaft, neue Erkenntnisse zu Tage und lässt "alte" Forschungsergebnisse (insbesondere wenn diese lange zurückliegen und aus einer anderen Disziplin stammen) völlig aus dem Blickfeld verschwinden...

Es sei denn, dass die Art der 'neuen' Ergebnisse die Erinnerung an 'alte' Theorien wieder wach rufen:

Wer sich näher mit (Lern-)Psychologie befasst hat, erinnert sich vielleicht noch an Theorien, wie z.B. "Lernen durch Versuch und Irrtum" oder an jene, von der damals noch völlig neuen Computertechnologie angeregte, kybernetische Lernmodelle (Test-Operate-Text-Exit). Diese Lernmodelle waren es auch, welche mir beim Lesen zu den dort geschilderten Ergebnissen aus der Hirnforschung in den Sinn gekommen sind.

Hat hier nun die Hirnforschung ein fast 50 Jahre altes psychologisches theoretisches Lernmodell, mit naturwissenschaftlichen Ergebnissen untermauert? Ich meine ja und freue mich, dass damit aus meiner Sicht der "Wahrheitsgehalt" einer beinahe vergessenen Theorie anhand der Funktionsweise unserer "Hardware" (= Gehirn) bestätigt wurde.

Ich möchte Sie zunächst auf eine kleine "Zeitreise" in die Geschichte der Psychologie mitnehmen, um danach wieder im hier und jetzt, d.h. im erwähnten Gehirn&Geist-Artikel zu landen:

Ein Blick in die Geschichte
Bildquelle:computerhistory.org
In den 50er Jahren wurden große Hoffnungen in die neue Computertechnologie und ihre Möglichkeiten gesetzt. Man dachte an neue Formen "künstlicher Intelligenz". Die Entwicklung der neuen Computertechnologie führte zur Unzufriedenheit und damit auch zur Überwindung streng behavioristischer Lernparadigmen. [1]
In the Historical Addendum to Newell and Simon’s Human Problem Solving [3] they say: ‘1956 could be taken as the critical year for the development of information processing psychology’ (p. 878). This is not difficult to justify. 1956 was the year that McCarthy, Minsky, Shannon and Nat Rochester held a conference on artificial intelligence at Dartmouth that was attended by nearly everyone working in the field at that time.
So kam es zur sog. "Kognitven Revolution"[1]
By 1960 it was clear that something interdisciplinary was happening. At Harvard we called it cognitive studies, at Carnegie-Mellon they called in information-processing psychology, and at La Jolla they called it cognitive science.
der "enge" behavioristische Blick "weitete" sich: [1]
Interdisciplinary activities I argued that at least six disciplines were involved: psychology, linguistics, neuroscience, computer science, anthropology and philosophy. I saw psychology, linguistics and computer science as central, the other three as peripheral.
und es begann ein Paradigmenwechsel in der Psychologie, die sog. "Kognitive Wende". So war man also von der Erforschung des Geistes zunächst zu streng mess- und untersuchbaren Lernvorgängen (hauptsächlich in Tierversuchen) = Behaviorismus, wieder bei der Erforschung der geistigen, d.h. inneren Vorgänge gelandet. Zwei Beispiele von Jerome S. Bruner aus dieser Zeit:
Value and Need as Organizing Factors in Perception (1947) Jerome S. Bruner and Cecile C. Goodman[1] Harvard University First published in Journal of Abnormal and Social Psychology, 42, 33-44.
So much for the first hypothesis, that socially valued objects are susceptible to behavioral determinants in proportion to their value. Consider now the second hypothesis, that the greater the subjective need for a socially valued object, the greater will be the role of behavioral determinants of perception
On the Perception of Incongruity: A Paradigm Jerome S. Bruner and Leo Postman (1949)
Harvard University First published in Journal of Personality, 18, 206-223.

Merkmale der Kognitiven Wende [2]+ [3]:

Zentral ist die Computermetapher. Sie prägt in der kommenden Zeit die Vorstellungen über das menschliche "Denken": So gilt nun der "sense-think-act cycle" [Sinneswahrnehmung - Denken - Handeln Kreislauf], d.h. man nimmt etwas mit seinen Sinnen wahr, man denkt darüber nach, man handelt und dann geht der Kreislauf wieder von vorne los.

Das T.O.T.E.-Modell
Miller, G.A., Galanter, E. & PribramK.H. haben daraus in Ihrem 1960 erschienenen Buch " Plans and the structure of behavior" eine kognitive Handlungstheorie entwickelt, welche kurz gefasst als das T.O.T.E.-Modell in die Geschichte der Psychologie eingegangen ist. Das Test-Operate-Test-Exit-Modell besagt nichts anderes, als dass wir eine Handlung vornehmen, diese mit unserer Zielsetzung vergleichen und - falls notwendig wieder durch eine neue Handlung korrigieren. Waren wir erfolgreich wird die Handlung beendet. Wobei hier nicht nur sichtbare "Handlungen" gemeint sind, sondern durchaus auch unsichtbare "Denkvorgänge".
Umgangssprachlich könnte man dies als das "Handeln-Prüfen-Handeln- Fertig-Modell", oder Denken-Prüfen-Denken-Fertig-Modell bezeichnen. Eine "wissenschaftliche" und abstraktere Erläuterung zum Modell finden Sie im Buch "Grundlagen der Sozialpsychologie:
Google-Buch: theoretische Erklärung zum T.O.T.E.- Modell "Grundlagen der Sozialpsychologie " von Lorenz Fischer, Günter Wiswede erschienen 2002 im Oldenbourg Wissenschaftsverlag
Wie 1960 die "neuen" theoretischen Überlegungen aufgenommen wurden, vermittelt diese Buchbesprechung aus dem Jahre 1960:
(Buchbesprechung)GEORGE A. TALLAND, Ph.D. Book Review: George A. Miller, Eugene Galanter und "Plans and the Structure of Behavior" - 1960
TOTE stands for test-operate-test-exit and is a cybernetic alternative for the stimulus-response connection modeled on the reflex arc, which the authors reject as the fundamental pattern for the organization of behavior.[...]Perhaps the most serious defect of the theory is that it does not clearly state how Plans are set into operation. [..] To those who believe that, in spite of its lively controversies, psychology is in need of more theoretical systems anchored in empirical data, this essay offers an important contribution to the literature.
FAZIT:
Die Entwicklungen in der "Computerwissenschaft (computer science)", heute würde man sagen in der Informatik, führten zu einem Paradigmenwechsel in der Psychologie. Man hegte ähnliche, noch etwas weniger gewagte Zukunftsvisionen (künstliche Intelligenz) als heute. Da die Tierexperimente nach dem behavioristischen Lernparadigma keine neuen Fortschritte aufwiesen, orientierte man neue Vorstellungen über das Lernen u.a. eben auch an dem Aufbau und der Funktionsweise der seinerzeit neu aufkommenden "Computerwissenschaft". Das T.O.T.E.-Modell erinnert daher an den Aufbau einfacher Computerbefehle (Algorithmen).

Damit möchte ich unsere kleine 'Zeitreise' beenden um an die Situation heute anknüpfen:

Wie bereits Talland in der Buchbesprechung "Plans and structure of behavior" angemahnt hatte:
To those who believe that, in spite of its lively controversies, psychology is in need of more theoretical systems anchored in empirical data, this essay offers an important contribution to the literature.
führt uns die Weiterentwicklung bildgebender Verfahren in den Neurowissenschaften nun zu den dort angemahnten "empirischen Daten".
Wie ich bereits im Beitrag zum Buch "Gedankenlesen" von Stephan Schleim ("Bilder" vom Gehirn und was wirklich "dahinter" steckt....) berichtet habe, ermöglichen erst die hohe Leistungsfähigkeit moderner Computer die Auswertung der Daten, welche in der neurowissenschaftlichen Forschung gewonnen werden:

Bildquelle: (c)MPI Köln
Dr. Markus Ullsperger, Arzt und kognitiver Neurobiologe ist Leiter einer jungen, engagierten Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für neurologische Forschung in Köln. In der aktuellen Ausgabe von Geist&Gehirn(4/2008) "Subtile Lehrmeister : Fehler erkennen" berichtet er auf sehr anschauliche und vor allem verständliche Weise über die aktuellen Erkenntnisse aus der Hirnforschung:

Im frontomedianen Cortex (pFMC) wurde nun das "Überwachungszentrum" für unser Verhalten entdeckt. Dort werden Fehler erkannt und Korrekturen veranlasst, so dass wir unser Verhalten ständig optimieren können. Dort wird verglichen ob die herbeigeführte Aktion stimmig ist. Diese "innere" Kontrolle läuft völlig automatisch ab: So wurde festgestellt, dass bei einer falschen Entscheidung das elektrische Potential abfällt, so dass quasi ein "gedankliches Innehalten" eingeleitet wird und die fehlerhafte Aktion korrigiert werden kann.

Damit bestätigen diese Forschungsergebnisse inhaltlich das T.O.T.E.-Modell, wobei in den aktuellen Forschungen die Rolle von "Belohnungen" für das Funktionieren unseres "Überwachungssystems" untersucht wurden:
Denn Belohnungen sind die Indikatoren für eine "richtige" oder "falsche" Entscheidung. Dass Belohnungen für das Lernen wichtig sind, wissen wir seit vielen Jahrzehnten (=> operantes Konditionieren => Behaviorismus => Lernexperimente mit Tieren) Belohnungen und Motivationsreize sind die Grundlage für eine Entscheidungsfindung bzw. für zielgerichtetes Verhalten. Damit - so wird angenommen - bauen wir die 'Wertesysteme" für unser Verhalten auf. Belohnungen nehmen so eine Schlüsselposition in Entscheidungsprozessen ein.

Auch diese Annahmen der behavioristischen Lerntheorien wurden mit bildgebenden Verfahren bestätigt. So stieg die Feuerungsrate der Dopamin produzierenden Zellen im pFMC, sobald die Versuchstiere eine Belohnung erhielten.=>[4]+[5]

Das Team um Dr. Ullsperger untersuchte die Feuerungsrate der Dopamin produzierenden Zellen an Menschen. Dabei fand der Psychologe Tilmann Klein heraus, dass Menschen mit reduzierter Dopamin-Rezeptor-Dichte in ihren Nervenzellen (= A1-Träger = 1/3 der mitteleurop. Bevölkerung!), weniger auf Fehler reagieren(= kaum Reaktion im pFMC), als andere mit normaler Dichte.
Die Forscher schließen aus ihren Ergebnissen, dass der frontomediane Cortex (pFMC) für das Lernen aus Fehlern zuständig ist, wobei eine normale Rezeptordichte hierfür Voraussetzung wäre.

Sind nun A1-Träger jene, welche im Alltag daher Probleme haben? Nein, sagen die Forscher, denn im Alltag seien die Reize weit stärker und nicht so subtil, wie in ihren Versuchen. Außerdem gleichen A1-Träger ihre geringere Dopamin-Rezeptor-Dichte mit einer erhöhten Dopaminproduktion aus.

Die geringere Fähigkeit von A1-Trägern, aus schlechten Erfahrungen zu lernen, könnte- neben anderen Faktoren- auch erklären, warum dieser Personenkreis eher zu Suchtverhalten neige.

Näheres dazu von Andreas Jahn in Spektrum der Wissenschaft: » Falsch!

Im Gehirn&Geist - Originalartikel werden die Ergebnisse detailliert beschrieben.


Die Studien und Studienergebnisse des Teams Dr. Ullsperger in ausführlicher und wissenschaftlich anspruchsvollerer Form:
Schematisches Modell der kognitiven Prozesse, die für zielorientiertes und flexibles Verhalten notwendig sind
Handlungsüberwachung und flexibles, zielorientiertes Handeln beim Menschen: Neuroanatomische, physiologische und molekulare Grundlagen
Handlungsüberwachung und flexibles, zielorientiertes Handeln beim Menschen: Neuroanatomische, physiologische und molekulare Grundlagen
Der posteriore frontomediane Kortex
Befunde bei neurologisch kranken Patienten

Ergänzung um neue Erklärungsebenen:

Diese Erklärungsebene findet breite Zustimmung, jedoch neben grundsätzlichem Konsens auch die Kritik, dass in o.g. Studien höhere kognitive Funktionen und soziale Einflussfaktoren unberücksichtigt bleiben. (Lieberman- PDF)
Zwischenzeitlich wurden dazu eigene Studien veröffentlicht, z.B.:
Berkman, E. & Lieberman, M. D. (in press). The neuroscience of goal pursuit: Bridging gaps between theory and data. To appear in G. Moskowitz (Ed.) Goals. Guilford Press. PDF
Weitere, insbesondere sozialpsychologisch orientierte, neurowissenschaftliche Studien im PDF-Format auf der Webseite von Matthew Lieberman.


Wichtig für Einwohner in Köln und Umgebung ;-) Das MPI sucht Teilnehmer für ihre Studien:
Das MPI Köln sucht für ihre wissenschaftlichen Studien Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Alter von 10 bis 75 Jahren. (Dauer 1- 1½ Stunden, 10 € pro Stunde Aufwandsentschädigung) Nähere Informationen: hier


Quellenhinweise und Links:
* Bildquelle: Minimax and Alpha-Beta Pruning abgebildet: Allen Newell, Herbert Simon, Carnegie Mellon University
[1] http://www.cogsci.princeton.edu/~geo/Miller.pdf (engl)
[2]Kurzinformation zur kognitiven Wende (dt.)
[3] The Evolution of American Educational. Technology,by Paul Saettler, 2004 (engl.)
[4] T. Ljungberg, P. Apicella and W. Schultz; Responses of monkey dopamine neurons during learning of behavioral reactions, Institut de Physiologie, Universite de Fribourg, Switzerland.
[5] W. Schultz and R. Romo, Dopamine neurons of the monkey midbrain: contingencies of responses to stimuli eliciting immediate behavioral reactions ,Institut de Physiologie, Universite de Fribourg, Switzerland.

Weiterführende Informationen:
>Hirnaktivität kündigt Fehler an

Falsch! Hirnaktivität kündigt Fehler an

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