Montag, 7. April 2008

Der betörende Nimbus der Neurowissenschaften......

Bildquelle Pixelio: (c) matchka
so kommentiert die Neue Züricher Zeitung Studien zur Bedeutung der Neurowissenschaften in der Wissenschaftsrezeption.

Insbesondere die Geistes- und Sozialwissenschaften untermauern ihre Feststellungen gerne mit vermeintlich "soliden" naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Auch umgekehrt werden in den Neurowissenschaften immer wieder weitreichende Interpretationen der wissenschaftlich interessierten Öffentlichkeit kundgetan, welche weit über das hinausgehen, was die Studien tatsächlich aussagen. Wie gut dieses Prinzip funktioniert und dafür sorgt, dass die Glaubwürdigkeit von Studien erhöht wird, haben mehrere Untersuchungen ergeben. Interessant dabei ist, dass selbst Neurowissenschaftler über den "betörenden Nimbus" ihrer Disziplin erstaunt waren.

Der betörende Nimbus der Neurowissenschaften
Zur Untermauerung von geistes- und sozialwissenschaftlichen Behauptungen wird heute gerne auf die Hirnforschung verwiesen.Wie ein Experiment nun erstmals gezeigt hat, lassen sich Nichtfachleute von neurowissenschaftlich verbrämten Argumenten derart blenden, dass sie logische Mängel derselben nicht mehr zu erkennen vermögen.
Weitere Studien zum Thema bzw. Quellen der Originalstudie:

The power of blobs on the brain
The media love those colourful brain images - the ones adorned by blobs purportedly showing which areas are most active when the experimental participant is thinking about something specific like cheese on toast. Now researchers in America have shown just how persuasive these images can be.
McCabe, D., Castel, A. (2008). Seeing is believing: The effect of brain images on judgments of scientific reasoning. Cognition, 107(1), 343-352
Abstract:
Brain images are believed to have a particularly persuasive influence on the public perception of research on cognition. Three experiments are reported showing that presenting brain images with articles summarizing cognitive neuroscience research resulted in higher ratings of scientific reasoning for arguments made in those articles, as compared to articles accompanied by bar graphs, a topographical map of brain activation, or no image. These data lend support to the notion that part of the fascination, and the credibility, of brain imaging research lies in the persuasive power of the actual brain images themselves. We argue that brain images are influential because they provide a physical basis for abstract cognitive processes, appealing to people’s affinity for reductionistic explanations of cognitive phenomena.
The seductive allure of neuroscience explanations
Weisberg DS, Keil FC, Goodstein J, Rawson E, Gray JR.
Department of Psychology, Yale University, New Haven, CT 06520, USA.
erschienen in: J Cogn Neurosci. 2008 Mar;20(3):470-7.
Abstract:
Explanations of psychological phenomena seem to generate more public interest when they contain neuroscientific information. Even irrelevant neuroscience information in an explanation of a psychological phenomenon may interfere with people's abilities to critically consider the underlying logic of this explanation. We tested this hypothesis by giving naïve adults, students in a neuroscience course, and neuroscience experts brief descriptions of psychological phenomena followed by one of four types of explanation, according to a 2 (good explanation vs. bad explanation) x 2 (without neuroscience vs. with neuroscience) design. Crucially, the neuroscience information was irrelevant to the logic of the explanation, as confirmed by the expert subjects. Subjects in all three groups judged good explanations as more satisfying than bad ones. But subjects in the two nonexpert groups additionally judged that explanations with logically irrelevant neuroscience information were more satisfying than explanations without. The neuroscience information had a particularly striking effect on nonexperts' judgments of bad explanations, masking otherwise salient problems in these explanations.
Ich halte diese Situation für sehr bedenklich, denn sie zeigt, dass einerseits notwendige Kritik an den Neurowissenschaften angesichts einer solchen ausgeprägten Wissenschaftsgläubigkeit zu Unrecht zurückgewiesen wird (z.B. Neurowissenschaften, Gehirn und Bewusstsein) und andererseits auf Dauer die sinnvolle Seite der Neurowissenschaften an Glaubwürdigkeit verlieren kann, wenn der "Nimbus" seinen Reiz verloren hat.

Die Wissenschaftsgeschichte ist voll von Beispielen, wie immer wieder in einzelne Wissenschaften und/oder Wissenschaftsbereiche sehr große Hoffnungen gesteckt werden, welche nach Ablösung durch einen neuen "Hyper" dann oft völlig verschwinden. Dass eine solche Entwicklung der Wissenschaft selbst nicht dienlich ist, versteht sich von selbst. So wäre es wünschenswert, wenn wissenschaftliche Ergebnisse sachlicher, d.h. weniger emotional und ideologisch geprägt mitgeteilt werden würden. Denn nur auf dieser Basis ist ein zeitsparender, interdisziplinärer Austausch überhaupt möglich.

Seit ungefähr 10 Jahren befasse ich mich mit den Neurowissenschaften. Mein Ziel war, für psychologische und pädagogische Studien und Theorien, weitere neurowissenschaftliche Belege zur Untermauerung zu erhalten. Leider nur mit bescheidenem Erfolg, denn jede Studie muss einzeln auf ihre Glaubwürdigkeit hin überprüft werden, wobei auch auf anatomische, neurophysiologische Kenntnisse und Wissen über Möglichkeiten und Grenzen neurowissenschaftlicher Forschung, nicht verzichtet werden kann. Der weitaus größere Anteil der wissenschaftlichen Arbeit entsteht aus dem Umstand der maßlos übertriebenen Berichterstattung und der großen Uneinigkeit der Neurowissenschaftler untereinander. Alles keine Indizien für eine größere Stichhaltigkeit neurowissenschaftlicher Belege.

Auch wenn dadurch nur sehr bescheidene "Belege" gesammelt werden können, sich manche Hoffnungen zerschlagen und andere Möglichkeiten sich eröffnen (z.B. in der Medizin), kann die Beschäftigung mit den Neurowissenschaften dennoch sehr spannend sein.

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