Zu Recht wird manchen Neurowissenschaftlern des Öfteren vorgeworfen, dass nur "alter Wein in neuen Schläuchen" präsentiert wird. Und ab und zu sind die Berichte noch enttäuschender oder widersprechen gar Erkenntnissen der psychologischen Forschung......
Der m.E. von Neurowissenschaftlern ins Leben gerufene "Neurohyper" führt zu einer bunten Vielfalt an begründeten und weniger begründeten wissenschaftlichen Annahmen und Ursachenzuschreibungen. Es scheint einfach verführerisch zu sein, das "Neuro"-Label auch zur Untermauerung für eher oberflächliche Betrachtungsweisen eines Gegenstandes zu "verwenden".(Der betörende Nimbus der Neurowissenschaften)
Ein Stück weit amüsiert mich dabei, dass sich hier Neurowissenschaftler mit einem Problem beschäftigen, welches sie meines Erachtens selbst verursacht haben. Sei es, dass das Libet-Experiment als naturwissenschaftlicher Beweis für das Nichtvorhandensein des freien Willens von Neurowissenschaftlern bemüht wird - selbstverständlich ohne vorher den in der Philosophie beheimateten Begriff zu definieren. Oder sei es, dass Neurowissenschaftler sogar Politiker davon überzeugen konnten, ein eigenes "neurowissenschaftliches" Forschungszentrum zu gründen, um endlich die Geheimnisse des Lernens auf naturwissenschaftlicher Basis zu erschließen, ohne im interdisziplinären Sinne, wenigstens bereits vorhandene umfangreiche psychologische Forschungen und Forschungsdesigns in die eigene Forschung mit einzubinden......
Die Hirnforschung feiert weiter "Hochkonjunktur" und daher werden hoch angesehene Wissenschaftler zu Fachexperten auch in Gebieten außerhalb ihrer Spezialisierung.
Leider beschränken sich so befragte Forscher in ihren Aussagen nicht auf ihre Kompetenzgebiete, sondern geben darüber hinaus Urteile ab, welche dann zu einer „Verwässerung“ des tatsächlichen Forschungsstandes führen. Aber warum sollten renommierte Wissenschaftler gut bezahlte Vorträge absagen, nur weil das gefragte Thema nicht zum eigenen "Spezialgebiet" gehört und sich die Veranstalter doch gerne mit einem "berühmten" Namen "schmücken"?
Das Hochbegabungskonzept von Gerhard Roth
Ebenso sind die Kenntnisse und das Wissen über Hochbegabung in der Hirnforschung bei weitem nicht so klar, wie Gerhard Roth dies z.B. in der Sendung „Nano“ (3Sat) und anderen Vorträgen dargestellt hat.
So behauptet er dort, dass die Hochbegabung ausschließlich über den Intelligenzquotienten definiert sei. Auch seine Behauptung. „dass Intelligente das so genannte Arbeitsgedächtnis im Stirnhirn (präfrontaler Cortex), das den "kognitiven Flaschenhals" beim Problemlösen bildet, weniger aufwendig nutzen“ ist bei weitem nicht in dieser Form und Eindeutigkeit von der Hirnforschung bestätigt worden.
Zur Frage, inwieweit Hochbegabung biologisch bedingt sei, vertritt er sogar zwei verschiedene Konzepte:
In der Nano-Sendun(2001) geht Roth noch von einer 50 prozentigen biologischen Bedingtheit der Hochbegabung aus, wozu genetische Faktoren, Einflüsse während der Embryonalzeit, während der Geburt und in den ersten Wochen und Monaten danach gehörten.
(Auch die Forschung zur Intelligenz geht inzwischen allgemein von einer 50-prozentigen biologischen Bedingtheit aus, )
Im Vortrag (2007) vor der Schweizerischen Studienstiftung behauptet Prof. Dr. G.Roth dann aber:"
Die Frage, ob Intelligenz genetisch bedingt oder durch Umwelteinflüsse geprägt werde, könne heute aufgrund zahlreicher Studien beantwortet werden.
So erklärte Roth: «Intelligenz ist zu rund 80 Prozent angeboren.» Leider verzichtet Prof. Dr. Roth auf die Nennung jener Studien, welche seine Feststellung belegen sollen.......
Auch seine Aussage in der geäußerten Einfachheit: „Intelligenz ist messbar“ – ist nicht korrekt, blendet sie doch die Vielfalt an Erscheinungsformen und die Probleme der Messbarkeit völlig aus.
Ebenso die im Vortrag in ihrer Klarheit so geäußerte Feststellung, dass ungefähr 800.000 Menschen hochbegabt seien - ist nur ein reiner Schätzwert (abgeleitet aus einer statistischen Wahrscheinlichkeitsannahme) und nicht - wie die Art und Weise der Darstellung suggerieren möchte - ein tatsächlicher Wert....... So variieren die Angaben über die angebliche Anzahl Hochbegabter je nach Autor: Demnach gibt es in Deutschland zwischen 300.000 bis 2.400.000 Hochbegabte - suche sich jeder die Menge heraus, welche er sich gerade wünscht ;-))
http://www.studienstiftung.ch/d/data/262/Roth_Gehirn_und_Begabung_27062007.pdf
Ein Beispiel fundierter und seriöser Hirnforschung zur Hochbegabung:
Das Hochbegabungskonzept der beiden Hirnforscher Christian Hoppe und Jelena Stojanovic welches im aktuellen Gehirn&Geist-Heft vorgestellt wird, liest sich hier sehr viel differenzierter. Und - wie nicht anders zu erwarten war - sind die vorhandenen Forschungsergebnisse keinesfalls so eindeutig, wie in einfach konzipierten Erklärungskonzepten immer wieder versucht wird, zu vermitteln.
Eine ihrer "vorläufigen" Schlussfolgerungen sind, dass Hochbegabte bei geringen kognitiven Ansprüchen auch eine geringere Hirnaktivität aufweisen. Kognitive Herausforderungen würden hingegen mit verstärkter Hirnaktivität beantwortet. Offenbar nutzen Hochbegabte ihre rechte Hirnhälfte intensiver, als normal begabte. (Die rechte Hirnhälfte ist normalerweise immer dann sehr aktiv, wenn Neues gelernt wird. Werden Inhalte zur Routine, dann verlagert sich die Aktivität von der rechten zur linken Hirnhälfte - so der derzeitige Stand der Forschung).
Die Autoren haben zu diesem Phänomen in ihrem Beitrag keine Erklärung hinterlassen. Angesichts dessen, dass der rechten Hirnhälfte die "Erarbeitung neuer Fähigkeiten" zugeschrieben wird, vermute ich:
Möglicherweise sind Hochbegabte geistig grundsätzlich aktiver und verwenden kognitive Herausforderungen um immer wieder an Inhalten weiter zu arbeiten, während der normal Begabte hier den bequemeren Weg sucht: lernen und dann ab in die Routine (d.h. bei normal Begabten ist die rechte Hemisphäre zunächst aktiv und nachdem das Neue beherrscht wird, braucht nur noch die linke Hemisphäre tätig zu werden).
Christian Hoppe und Jelena Stojanovic kommen nach ihren 2-jährigen Forschungen zu dem Ergebnis, dass Hochbegabung eng mit dem Zusammenwirken von vererbter Begabung und der Nutzung dieser Ressourcen zusammenhängt. Nach dem Motto "ohne Fleiß kein Preis", veranschaulichen sie ihre Auffassung an den Forschungen bei musikalisch Hochbegabten, welche ihre musikalischen Erfolge erst durch den Einsatz mit viel Fleiß und Disziplin erreichen.
In ihrem FAZIT zeigen sie, dass die Forschung letztendlich erst noch in den Anfängen steht und hoffentlich noch einige Ergebnisse mehr zu erwarten sind:
Daher wagen wir an dieser Stelle eine Vorhersage: In fünf Jahren wird sich ein Übersichtsartikel über "Gehirn und Begabung" auch und besonders mit Erkenntnissen über Motivationsprozesse bei Hochleistenden, deren Formbarkeit durch Training und soziale eiflüsse sowie deren genetische Grundlagen beschäftigen.(Gehirn & Geist 3/2008, S. 56)Mein FAZIT:
Die Leser dürfen weiter gespannt sein, welche Forschungsergebnisse Christian Hoppe und Jelena Stojanovic uns noch weiter präsentieren werden. Ihre kritische Analyse der bisherigen Forschungen lässt hoffen, dass wir hier weiterhin ernstzunehmende und wissenschaftlich fundierte Ergebnisse - ohne plumpe Vereinfachungen und Schönfärbereien - erwarten können.
Weiterführende Links:
Hochbegabung aus pädagogisch-psychologischer Sicht:
Was ist Hochbegabung? Hochbegabung ist das, was Wissenschaftler definieren....
Intelligenzbegriff und Intelligenzforschung
Erläuterung zum Intelligenzbegriff und Intelligenzforschung
Über Intelligenz - PDF-Datei
Karg-Stiftung und Webseiten zur Hochbegabung:
Wer wir sind - die Köpfe hinter der AG Hochbegabung
Alles in einem Rutsch als PDF-Dokument: hier!
Bericht über die neurowissenschaftliche Literatur zu "Hochbegabung und Gehirn"
Hirnforscher und Hochbegabung:
Webseite von Haier mit PDF-Downloads zu seinen Forschungen
Forschungsgruppe Jeremy Gray – PDF-Dateien auf Webseite zum freien Download
2 Kommentare:
Hervorragender Beitrag.
Vielen Dank für die Mühe, die Sie sich gemacht haben. Mein Kompliment!
Anne Heintze
Interessanter und kritischer Artikel! Danke!
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