Offenbar können nicht nur Zauberer ihr Publikum täuschen , sondern auch Verfasser von Büchern, Zeitschriftenartikel etc. Die Science Community funktioniert nach eigenen Regeln und wer in einer Fachzeitschrift publiziert hat, findet - unabhängig von der Qualität der Publikation - Eingang in andere Quellen. Eine Publikation scheint irgendwie "wissenschaftliche" Autorität zu verleihen.......
Bildquelle Pixelio: (c) tommyS
An dieser Stelle geht es um einen Mythos, welcher immer wieder in populärwissenschaftlichen Quellen und wie in diesem Beispiel als "pseudowissenschaftlicher" Aufsatz erscheint. Es geht um das Ganzheitliche Lernen und es geht um die Möglichkeiten der Einflussnahme durch Erzieher und Lehrer, mit Bezugnahme auf "aktuelle" Ergebnisse aus der Hirnforschung.
Das Eine sind die Vorschläge und das Andere, wie in diesem Fall, die verwaschene und auch falsche Theorie:
Zitat aus "Warum ist ganzheitliches Lernen wichtig?" von Charmaine Liebertz:Der Text lässt sich an verschiedenen Stellen abrufen:
"Im Folgenden werden Erkenntnisse der Neurobiologie erläutert, die das Gehirn nicht nur als die Zentrale des Denkens, sondern aller Steuerungsprozesse des Menschen einstufen. Daraus werden Forderungen an die Förderung von Lernprozessen bei Kindern gestellt. ...[...]....Ob wir ein Lied singen oder unser Auto steuern, jedes Mal findet in unserem Hirn ein Kommunikationsfeuerwerk zwischen Millionen von Neuronen und multiplen Intelligenzen, zwischen Sinnesorganen, Bewegungsapparat und Gefühlen statt. Gehirnforscher schätzen, dass der Durchschnittsmensch nur etwa 10 % der Gesamtkapazität seines Gehirns nutzt."(Hervorhebungen von mir)
- Kindergartenpädagogik.de: Aus: WWD 2001, Ausgabe 75, S. 12-13 Warum ist ganzheitliches Lernen wichtig?
- Netschool.de: Warum ist ganzheitliches Lernen wichtig?
- Deutsche Bildungsserver: Warum ist ganzheitliches Lernen wichtig?
- Erschienen ist dieser Text im Wehrfritz Wissenschaftlichen Dienst (2001), ein monatlich erscheinender Pädagogischer Ratgeber, welcher zwischenzeitlich ausschließlich im Internet veröffentlicht wird.
- Und diese Abschlussarbeit (PDF) bezieht sich u.a. auch auf diesen Aufsatz (siehe Literaturliste im Anhang).
Es gibt nicht ein einziger Neurowissenschaftler, welcher behauptet, dass der Mensch nur 10% seiner Gehirnkapazität nutze.
Im Gegenteil: Spätestens seit Bestehen der bildgebenden Verfahren ist bekannt, dass das Gehirn ständig in Aktion ist und keine Rede davon sein kann, dass wir nur 10% unseres Gehirnes "benutzen". Im Gegenteil, wie sich z.B.in der Taxifahrerstudie herausgestellt hat, kann unser Gehirn durchaus auch an seine "Grenzen" stossen....Beeindruckende Fähigkeiten gehen auf Kosten des Erwerbs neuer Fähigkeiten
So finden völlig irrationale, unbelegte Behauptungen ihre ungehinderte Verbreitung - unterstützt von Medien - welche jenen Aufsatz erst verlegt haben. Alle genannten Adressen scheinen sich über die 10%-Nutzung des Gehirns nicht gewundert zu haben. Neurowissenschaftliches Wissen scheint - zumindest in Kreisen - welche sich mit Erziehung, Schule und Bildung im Allgemeinen befassen, wenig fundiert zu sein. Dennoch werden immer wieder abenteuerliche Mutmaßungen als "Beleg" für eigene Vorstellungen vom besten Weg des Lernens herangezogen......
So werden Lernmythen geboren, welche nie einer wissenschaftlichen Quelle entsprungen sind, aber über vermeintlich angesehene Verfasser "hoffähig" gemacht werden.
Die Autorin betreibt ein Lerninstitut zum Ganzheitlichen Lernen. Bedauerlich ist, dass auf diesem Wege solches Fehlwissen sich auch noch zukünftig ungestört weiter verbreiten kann......
P.S.: Ich bitte zu beachten, dass sich dieser Beitrag nur auf die verfälschte Berichterstattung zur Hirnforschung im genannten Aufsatz von Frau Liebertz bezieht und keine Qualitätsaussage über andere Inhalte getroffen wird. Denn diese sind mir nicht bekannt.
2 Kommentare:
Das übliche - jeder schreibt von jedem ab. Das kennt man ja zum Beispiel auch von Lehrbüchern zur genüge.
Ja leider ......
Wie man gerade in der NRW - Diskussion zur unlösbaren Aufgabe im aktuellen Zentralabitur (Stochastik) miterleben kann. Die Aufgabe steht angeblich nicht im Widerspruch zu den Schullehrbüchern, jedoch - wie sich zwischenzeitlich einige Stochastiker geäußert haben im Widerspruch zur herrschenden universitären Lehrmeinung ;-)
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